Da ist guter Rat teuer: Der zweite Teil

Nur wenige Tage nach meinem Gespräch mit Herrn und Frau Z. sucht Fabians Vater mich allein in meiner Praxis in Hamburg auf. Für unser Gespräch hat er einen regelmäßigen Tennistermin mit einem Kollegen abgesagt. Es scheint ihm wirklich wichtig zu sein, mit mir weiter über seinen Sohn zu sprechen. Zugleich erkenne ich seine Anspannung, fast Abwehr, während er vor mir sitzt. Ich nehme das als gutes Zeichen. Angst und Vorbehalte sind mir so viel lieber als Gleichgültigkeit.

Herr Z. erzählt zunächst, wie sich die Situation zu Hause seit unserem letzten Gespräch entwickelt hat: Fabian hat sich weiterhin sehr zurückgezogen. Aber wie vereinbart, gab es keine reglementierenden Gespräche mit ihm. Am Wochenende haben alle zusammen gegessen und es trat ein wenig Entspannung und Normalität ein. Mit seinen Freunden hat Fabian sich nicht verabredet, stattdessen verbrachte er viel Zeit in seinem Zimmer. Die Zimmertür ließ er immer offen, so wie es in der Familie und im Hause üblich ist. Von der Schule ist Fabian noch beurlaubt. Heute Morgen war eine Sozialpädagogin vom Jugendamt bei ihnen. Herr Z. hat aber noch nicht gehört, wie das Gespräch verlaufen ist. Weiterlesen

Erziehungsberatung in der Pubertät – da ist guter Rat teuer

Es ist ein später Novembernachmittag. Draußen geht ein feiner kalter Nieselregen nieder, Wolken verdunkeln den Himmel. Auch die Stimmung von Herrn und Frau Z., die mir in meiner Beratungspraxis in Hamburg gegenüber sitzen, ist düster. Frau Z. ist mir seit einigen Beratungsgesprächen bekannt, in denen es um die Besorgnis erregende Entwicklung ihres Sohnes Fabian ging. Von Herrn Z. habe ich zuvor nur aus ihren Erzählungen gehört. Er war bisher nicht bereit, mit zu den Sitzungen zu kommen. Das müsse man doch wohl allein hinbekommen – so gab mir Frau Z. seine Überzeugung wieder.  Nun aber haben die jüngsten, eskalierenden Ereignisse um Fabian auch Herrn Z. veranlasst, sich wenigstens einmal eine Expertenmeinung anzuhören. Entscheiden wolle er dann selbst, wie er deutlich betont. Ich selbst bin froh, Herrn Z. endlich kennenzulernen. Schließlich ist er als Teil des Familiensystems unweigerlich auch ein Teil des Problems. „Wir wissen nicht mehr weiter, Herr Wulff“, ist der einleitende Satz von Frau Z. jetzt, an diesem Novembernachmittag. „Fabian ist endgültig außer Kontrolle geraten“, beeilt ihr Mann sich zu sagen, nicht ohne einen strafenden Blick zu seiner Frau.

Dann erzählen beide von den Ereignissen des gestrigen Abends und der Nacht. Sie spricht verzweifelt, meist hilflos, manchmal weinend; er distanziert, verständnislos. Manchmal kommt er in Rage, entschuldigt sich dann aber schnell, und scheint – sich zurücklehnend – für einen Moment  aus unserem Gespräch auszusteigen. Der Schilderung zufolge ist Fabian gestern, nach einem heftigen Streit mit seinem Vater wütend aus dem Haus gegangen. „So schlimm haben die beiden  noch nie gestritten“, sagt Frau Z., und empört fügt ihr Mann hinzu: „Obwohl ich es ihm untersagt habe, ist er einfach gegangen.“ Um 23 Uhr war der Junge noch immer nicht zurückgekehrt. Frau Z. habe sich große Sorgen gemacht: „Ich hatte Angst, dass ihm etwas zugestoßen sein könnte.“  „Das hast du ja immer“, erwidert ihr Mann. „Das war ja dann auch so“. In ihrer Entgegnung schwingt Empörung, fast Wut. Herr Z. guckt seine Frau an, dann zu Boden, schließlich lehnt er sich wieder in seinem Sessel zurück und schweigt für eine Weile. Um halb eins habe die Familie einen Anruf von der Polizei bekommen. Ihr Sohn sei in Gewahrsam, man habe ihn verhört, nun aber könne er abgeholt werden. Weiterlesen

Preis der Lüge – ein Fall aus Hamburg, von Torsten Wulff

Eigentlich sollte es um die Vorbereitung auf ein Assessment-Center gehen, als Helmuth K.  aufgebracht zu mir, Torsten Wulff, in die Sitzung kam. „Dazu möchte ich einen anderen Termin vereinbaren; jetzt muss ich Ihnen von meinem Sohn erzählen. Der hat mich belogen, das hat er noch nie getan!“ begann er sichtlich empört.

Der Junge aus dem Raum Hamburg ist gerade 14 Jahre alt geworden. Bereits vor einigen Wochen hatte der Vater eine Sitzung zur Erziehungsberatung verwendet, weil er eine „Aufsässigkeit“ bei seinem Sohn bemerkt hatte, die er glaubte unter Kontrolle bringen zu müssen. Und nun das! Die Lüge war erst am Abend zuvor aufgedeckt worden; das dazu fällige „ernste Gespräch“ hatte  der Vater seinem Sohn für den nächsten Tag nach der Schule angekündigt. Dafür sollte ich ihm nun ein paar Tipps geben.

„Haben Sie schon einmal gelogen?“, fragte ich ihn. „Ja, natürlich!“, antwortete Herr K. spontan, mit einem verschwörerischen Lächeln. Warum das eigentlich natürlich sei, wollte ich wissen. „Na ja, es gibt halt doch immer Situationen, in denen man besser nicht die Wahrheit sagt. Manchmal ist es sogar wichtig, nicht jedem gleich die Wahrheit zu erzählen. Eine Frage von Personenschutz, oder?“ Hier sind wir uns einig, und das ist eine gute Grundlage für das weitere Gespräch, denke ich bei mir und beschließe, mir nun die Geschichte aus der Region Hamburg erzählen zu lassen. Weiterlesen

Torsten Wulff berät: Erziehungskunst in der Pubertät oder: „Einfach mal auf die Fresse kriegen!“

Eltern und Pädagogen sind sich im Grunde einig: Kinder, Heranwachsende brauchen Grenzen. Und Erziehung bedeutet, Grenzen zu setzen. Zugleich wollen wir Eltern heute, dass unsere Kinder sich zu selbstbewussten und selbst denkenden Menschen entwickeln. Dafür braucht es Räume, die Heranwachsende selbst erkunden können. Erziehung bedeutet deshalb auch, (Entwicklungs-)Räume zu schaffen. Eine gute Balance zwischen Grenzen und Räumen zu finden – das ist das A und O der Erziehungskunst.. Dabei ist es in keinem Alter des Kindes leicht zu beantworten, wann im konkreten Einzelfall welche Grenzen zu setzen sind. Am schwierigsten ist das Spiel zwischen Räumen und Grenzen in der Pubertät unserer Kinder, zumal uns diese Phase – richtiger Weise – so bedeutsam erscheint.

Anders als bei jüngeren Kindern stehen uns zunehmend weniger sinnvolle Sanktionsmöglichkeiten zur Verfügung. Denn während der Pubertät ist die Verbindung zwischen Eltern und Heranwachsenden oft wie ein Faden kurz vor dem Zerreißen dünn. Mit Sanktionen wie Stubenarrest, Internet-Verbot oder Taschengeldentzug riskieren Eltern oft die Zerreißprobe. Wie aber können Eltern dennoch die Entwicklung der jugendlichen Kinder fördern und  ihrer Fürsorgepflicht gerecht werden?

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